Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Stillen bei Müttern mit Multipler Sklerose – Erfahrungsbericht aus Deutschland

Anlage zum EISL-Newsletter März 2023

Breastfeeding in Mothers with Multiple Sclerosis: The German Experience.
Aigner S, Huhn K, Cepek L, Hellwig K, Nickel FT, Bayas A. Breastfeed Med. 2023 Feb 16. DOI: https://doi.org/10.1089/bfm.2022.0279

Das wichtigste in Kürze:

  • Viele Frauen die an Multipler Sklerose erkranken, sind in dem Alter, in dem eine Schwangerschaft angstrebt wird. Studien zeigen: Stillen hat einen positiven Einfluss auf den individuellen Verlauf der MS.
  • Eine aktuelle Studie aus Deutschland zeigt, dass Mütter mit MS grundsätzlich seltener stillen als der Rest der Bevölkerung. Allerding: WENN Frauen mit Multipler Sklerose stillen, dann eher etwas länger ausschließlich als nicht erkrankte Frauen.
  • Der häufigste Grund für das Abstillen war die chronische Erkrankung und die damit verbundenen Hürden wie der Beginn der postpartalen Immuntherapie, die Angst vor der Verschlechterung der MS, Rezidive und die Empfehlung abzustillen durch Ärzt:innen oder Hebammen.

Hintergrund der Studie ist, dass viele Frauen mit Multipler Sklerose (MS) in dem Alter sind, in dem sie auch eine Schwangerschaft anstreben und Kinder bekommen. Einige Studien konnten bereits beweisen, dass das Stillen einen positiven Einfluss auf den individuellen Verlauf der MS hat (Langer-Gould 2020, Lorefice 2021, Hellwig 2015), s. dazu auch unser → Artikel vom Januar 2020. Es gibt nicht genügend Evidenz zum Thema Stillrate, Abstillzeitpunkt und Stillerfolg bei Frauen mit Multipler Sklerose, deswegen hat sich die Gruppe um Stefanie Aigner (Abteilung für Neurologie, Universität Erlangen) entschieden, diese Untersuchung durchzuführen.

Es wurde ein Fragebogen mit 29 Fragen entwickelt, der unter anderem den Krankheitsverlauf der MS, die Stillerfahrung und den sozioökonomischem Status erfragt. Es gab drei Studienzentren: Die Universitätsklinik Augsburg, Erlangen und Nürnberg. Insgesamt haben 62 Frauen an der Befragung teilgenommen. Verglichen wurden die Daten aus der Gruppe mit Daten aus einer prospektiven Analyse von Stillraten von Frauen aus der Allgemeinbevölkerung (Hockamp 2021) Die Studie untersucht die Rate an Stillenden, sowie die Stilldauer, Gründe für das Abstillen und den Einfluss der Erkrankung auf ein erfolgreiches Stillen bei Frauen mit Multipler Sklerose. Eingeschlossen in die Studie wurden Frauen mit MS, welche in den letzten drei Jahren geboren haben. Den Müttern wurde ein Fragebogen zugesandt.
Insgesamt konnte die Studie zeigen, dass die Stillrate bei Müttern mit MS signifikant niedriger ist (85.9% vs. 96.6% MS vs. Nicht MS, p=0.0007). Es zeigte sich jedoch eine höhere Stillrate bei Müttern mit MS nach 5-6 Monaten (40.6% vs. 9%, MS nach 5-6 Monaten vs. Allgemeinbevölkerung 6 Monate). Im weiteren Verlauf, nach 11-12 Monaten war die Stillrate wieder niedriger (18.8% mit 11-12 Monaten vs. 41.1% mit 12 Monaten, MS vs. Allgemeinbevölkerung).

In 68.7% der Fälle haben die Mütter mit MS abgestillt aufgrund ihrer chronischen Erkrankung und den damit verbundenen Hürden. Die Gründe dafür waren in absteigender Reihenfolge der Beginn der postpartalen Immuntherapie, die mütterliche Angst vor einer Verschlechterung der MS, ein Rezidiv sowie die Empfehlung abzustillen von der betreuenden Ärztin/ dem betreuenden Arzt, der Hebamme. Es zeigte sich kein signifikanter Einfluss der vorgeburtlichen bzw. nachgeburtlichen Stillberatung in Bezug auf die Stillrate. Die Rezidivrate der MS sowie die Anwendung von Medikamenten gegen die Erkrankung hatten keinen Einfluss auf den Stillerfolg.

Zusammenfassend spiegelt diese Untersuchung gut die Situation von stillenden Müttern mit MS in Deutschland wider, somit sind die Ergebnisse eine gute Grundlage für die Stillberatung von Frauen mit MS. Einige der Gründe für das Abstillen sind ansprechbar und evtl. beeinflussbar durch eine fundierte Stillberatung (Angst vor Verschlechterung der MS, Empfehlung abzustillen).

Die Studie steht leider nicht vollständig zur Verfügung. Das Abstract (englisch) finden Sie → hier

Zusätzliche erwähnte Quellen:
• Hockamp N, Burak C, Sievers E, Rudloff S, Burmann A, Thinnes M, Zahn J, Lücke T, Kersting M. Breast-feeding promotion in hospitals and prospective breast-feeding rates during the first year of life in two national surveys 1997-1998 and 2017-2019 in Germany. Public Health Nutr. 2021 Jun;24(9):2411-2423. doi: 10.1017/S1368980021001099. Epub 2021 Mar 16. PMID: 33722333.
• Langer-Gould A, Smith JB, Albers KB, Xiang AH, Wu J, Kerezsi EH, McClearnen K, Gonzales EG, Leimpeter AD, Van Den Eeden SK. Pregnancy-related relapses and breastfeeding in a contemporary multiple sclerosis cohort. Neurology. 2020 May 5;94(18):e1939-e1949. doi: 10.1212/WNL.0000000000009374. Epub 2020 Apr 13. PMID: 32284359; PMCID: PMC7274922.
• Hellwig K, Rockhoff M, Herbstritt S, Borisow N, Haghikia A, Elias-Hamp B, Menck S, Gold R, Langer-Gould A. Exclusive Breastfeeding and the Effect on Postpartum Multiple Sclerosis Relapses. JAMA Neurol. 2015 Oct;72(10):1132-8. doi: 10.1001/jamaneurol.2015.1806. Erratum in: JAMA Neurol. 2016 Apr;73(4):481. PMID: 26322399.
• Lorefice L, Fronza M, Fenu G, Frau J, Coghe G, D'Alterio MN, Barracciu MA, Murgia F, Angioni S, Cocco E. Effects of Pregnancy and Breastfeeding on Clinical Outcomes and MRI Measurements of Women with Multiple Sclerosis: An Exploratory Real-World Cohort Study. Neurol Ther. 2022 Mar;11(1):39-49. doi: 10.1007/s40120-021-00297-6. Epub 2021 Oct 29. PMID: 34714518; PMCID: PMC8857366

© März 2023, Dr. med. Josefine Theresia Königbauer, Fachärztin für Frauenheilkunde und IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC

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