Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Hyperbilirubinämie beim Stillkind

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Letzte Aktualisierung dieser Seite: 04/2023

Die Hyperbilirubinämie des Neugeborenen ist relativ häufig. Laut Literatur werden etwa 50 % der reifen gesunden Neugeborenen sichtbar gelb, dies gilt als physiologisch. Leicht erhöhte Bilirubinwerte sind gleichzeitig auch ein Radikalenfänger und somit sinnvoll.
Trotz dieses Wissens stellt ein Neugeborenen-Ikterus ein Risiko für frühzeitiges Abstillen dar, auch weil Eltern meist zu wenig über Ursache, Prävention und Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt werden. Babyfreundlich zertifizierte Kliniken haben signifikat geringere Hyperbilirubinämie-Raten, was auf das bessere Stillmanagement zurückzuführen ist. Es existieren klaren Leitlinien und Protokolle zur Prävention, die jedoch nicht in allen Kliniken bekannt sind.

Wir hatten über dieses Thema zuletzt 07/2021 in unserer Rubrik "Neues aus der Forschung" berichtet und zwei Studien aus 2020 und 2021 vorgestellt:

Physiologie

Gesunde Neugeborene werden nicht mit einem Ikterus geboren, denn bis zur Geburt übernimmt via Plazenta die Mutter den Abbau des anfallenden Bilirubins.
Nach der Geburt ist das neugeborene Kind für den Abbau selbst verantwortlich. Zunächst ist bis zur Geburt der Hämatokrit und der Hämoglobinwert vergleichsweise hoch, da die Säuglinge intrauterin mit Mischblut im großen Kreislauf sauerstoffärmer leben. Mit der Geburt und dem Beginn der Atmung wird der Lungenkreislauf aktiviert und es fließt sauerstoffreiches Blut durch den großen Kreislauf. Deshalb werden nicht mehr so viele Sauerstoffträger gebraucht, so dass die überschüssigen Erythrozyten abgebaut werden müssen. Dadurch entsteht vermehrt Bilirubin. Der Neugeborenen-Ikterus wird somit als prähepatischer Ikterus bezeichnet, weil die Ursache prähepatisch liegt.

Hämatokrit Normwerte

Neugeborene: 48-63%
1.und 2. Lebenswoche: 47-63%
3. und 4. Lebenswoche: 38-51%
5. - 12. Lebenswoche: 30-38%
Zum Vergleich: erwachsene Frauen 33-43% – Männer 39-49%

Hämoglobin Normwerte

Neugebore 18,0 - 21,5 mg/dl bzw. 11,17-13,34 mmol/l
abfallend bis zum 1. Lebensjahr auf 10,0-14,0 mg/dl bzw. 6,2-8,68 mmol/l
Zum Vergleich: erwachsene Frauen 12,0-15,0 mg/dl bzw. 7,45-9,3 – Männer 13,6-17,2 bzw. 8,44-10,67)


Das nach der Geburt frei werdende Bilirubin (als "indirektes Bilirubin" bezeichnet = unkonjugiertes Bilirubin) muss an Eiweiß (Albumin) gebunden werden, um zur Leber transportiert werden zu können. Dort wird es durch das Enzym Glukuronyltransferase konjugiert (nun wird es als "direktes Bilirubin" bezeichnet) und dann über den Darm ausgeschieden.
Die Leber ist jedoch noch relativ unreif, so dass eine Hyperbilirubinämie des Neugeborenen häufig ist.

Der Anteil des Bilirubins, der nicht sofort weiterverarbeitet werden kann, wird temporär im Unterhautfettgewebe „zwischengelagert“, bis wieder Kapazitäten in der Leber frei sind.
Wenn die Bilirubinwerte allerdings zu stark ansteigen, ist eine Therapie erforderlich, meist reicht eine Fototherapie aus.

Für den physiologischen Neubeborenenikterus liegen somit vor allem folgende Ursachen vor:

  • Erhöhter Hämatokrit aufgrund des relativen Sauerstoffmangels im fetalen Kreislauf
  • Verkürzte Lebensdauer der noch teils vorhandenen fetalen Erythrozyten (80 Tage bei fetalen und 120 Tage bei adulten Erythrozyten)
  • Verminderte Aktivität der Glukuronyltransferase in der Leber, die das indirekte (unkonjungierte) Bilirubin konjugiert und über die Gallenwege ausscheiden lässt. Bei Frühgeborenen ist diese Funktion noch stärker eingeschränkt und im asiatischen Raum gibt es Varianten des Enzyms mit anfänglich verzögerter voller Funktionsfähigkeit
  • Gesteigerte entero-hepatische Rückresorption (ca. 18%) durch noch fehlende bakterielle Besiedelung des Darmes: Bilirubin wird zu 98% über den Darm ausgeschieden, nicht über die Niere (alter Irrglaube!) – so dass zusätzliche Gabe von Wasser oder Tee kontraproduktiv sind
  • Eine Verzögerung der Mekoniumausscheidung bewirkt eine erhöhte entero-hepatische Resorption von Bilirubin. Damit ist klar, dass ein frühes und häufiges Stillen (oder Kolostrumgaben) essentiell ist
  • Eine rasche und häufige Darmentleerung ist wünschenswert: Kolostrum wirkt verdauungsfördernd/ abführend und enthält genügend Eiweiß, Kalorien sowie 87% Wasser, so dass keine zusätzliche Gabe von Flüssigkeit oder anderer Nahrung notwendig ist. Die Ausscheidung des ersten Mekoniums sollte bis zur 8. Lebensstunde pp erfolgt sein, spätestens jedoch nach 12 Stunden (ILCA-Leitlinien 2014) und ab dem 3. Lebenstag ist mindestens 3x täglich Stuhlgang mit altersentsprechender Farbe zu erwarten
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    © Lactamedia/ Larsson-Rosenquist-Stiftung
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    © Dreamstime/ Petrina Calablic

Darüber hinaus gibt es verschiedene Risikofaktoren, die zu einer stärkeren Hyperbilirubinämie beitragen können:

  • Frühgeburt (Lebrer noch unreif, Mangel an Albumin)
  • Fetale Mangelernährung (Mangel an Albumin)
  • AB0-Inkompatibilitäten (direkter Commbs-Test zeigt Antikörper auf)
  • Rh-Inkompatibilitäten
  • gespendete Eizellen, wenn Blutgruppe der Spenderin von Empfängerin abweicht
  • Kephalhämatom
  • Infektionen des Neugeborenen
  • Glukose-6-Phosphatdehydrogenasemangel

Fallen Neugeborene durch eine sichtbare Gelbfärbung der Haut auf, erfolgt als erstes die transkutane Bilirubinbestimmung (TcB). Sind die Werte sehr hoch, muss eine blutige Messung erfolgen, um das Gesamtbilirubin und ggf. einer Spezifizierung zwischen direktem (konjugiertem) und indirektem (unkonjugiertem) Bilirubin zu bestimmen. Liegt der Wert im Normogramm zwischen der 75. und 95. Perzentile, wird eine transkutane Wiederholungsmessung nach 12 oder 24 Stunden empfohlen. Eine Einschätzung der Werte kann auch über die Website → www.bilitool.org vorgenommen werden.

Arten der neonatologischen Hyperbilirubinämie und Behandlung

Generell wird zwischen zwei Arten der Hyperbilirubinämie unterschieden:

Früher Ikterus/ "early onset"

Diese Form des Ikterus wurde früher manchmal auch als "Still-Ikterus" bezeichnet, was mit dem heutigen Stand des Wissens in keiner Weise mehr zu vereinbaren ist.
Die Ursache für die Beobachtung, dass gestillte Kinder häufiger als formulagefütterte Kinder einen frühen Ikterus entwickelten, beruhte vor allem auf mangelhaftem Stillmanagement: Früher wurden die Neugeborenen in den ersten Tagen nur wenig gestillt. Heute gilt hingegen klar: Mindestens 8x, besser 10-12x Stillen, ab dem Tag der Geburt.
Genaugenommen haben formulaernährte Neugeborene einen unphysiologisch niedrigen Bilirubinspiegel, da durch den veränderten Aufbau des Darm-Mikrobioms (Formulaernährung statt Muttermilch) der entero-hepatische Keislauf unterbrochen wird.
Der frühe Ikterus hat seinen Gipfel am 3. bis 5. Lebenstag (Dauer: ca. 10 Tage) und kommt gehäuft bei Erstgebärenden vor, da Mehrgebärende rascher in die Laktogenese 2 kommen (Beginn der reichlichen Milchbildung, Memory-Funktion der Laktozyten aus vorigen Stillzeiten).

Die beste Prävention gegen diese Form des Ikterus ist das frühe und häufige Stillen, wodurch das Mekonium und somit das konjugierte Bilirubin ausgeschieden und der entero-hepatische Kreislauf minimiert wird. Eine Stillpause ist kontraproduktiv!

Falls die Werte trotzdem zu hoch liegen, erfolgt die Therapie durch Fototherapie, die nach Möglichkeit ohne Mutter-Kind-Trennung durchzuführen ist und für das Stillen zwischendurch jederzeit kurz unterbrochen werden kann und soll.
Nur im Einzelfall kommen andere Therapieoptionen hinzu.
Wenn das Neugeborene nicht effizient oder häufig genug an der Brust stillt (z.B. weil es müde/ schlapp ist), sollte die Mutter zur Gewinnung der Muttermilch per Hand oder/ und Pumpe angeleitet werden und das gewonnene Kolostrum bzw. die gewonnene Muttermilch stillfreundlich zugefüttert werden.

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Fototherapie in der Geburtshilfe Bochum
© Diana Sleczka

Ikterus prolongatus/ "late onset"

Diese Form des Ikterus wurde früher häufig als "Muttermilch-Ikterus" bezeichnet, da die Ursache in einer vermehrten entero hepatischen Resorption liegt, die durch Muttermilch bedingt zu sein scheint und alle Kinder dieser Mutter betrifft. Die Ursachen, woran dies liegen kann, sind bis heute nicht abschließend geklärt (genetischer Faktor?). Obwohl diese Form des Ikterus normalerweise keine Komplikationen mit sich bringt – vorausgesetzt der Gesamt-Bilirubinspiegel steigt nicht zu hoch – birgt eine Bezeichnung wie "Muttermilch-Ikterus" das Risiko, dass verunsicherte Familien glauben, das Stillen wäre für ihr Baby riskant. Auch Freunde und Verwandte hören diese Bezeichnung und tragen sie weiter, ohne genau über die Ursachen und Optionen Bescheid zu wissen.

Sichtbar wird diese Form des Ikterus ab dem 5. Tag pp und kann bis zu drei Monate dauern, ohne dass im Verlauf erneut therapiebedürftige Werte auftreten. Wichtig ist, dass andere Ursachen ausgeschlossen werden, wie z.B. eine Gallenabflussstörung in der Leber, eine zentrale Hypothyreose oder eine Galaktosämie. Diese Diagnostik kann mit einer Sonographie des Abdomens und einer ohnhin notwendigen Blutabnahme erfolgen. Eine Stillpause ist nicht erforderlich, auch nicht „um eine Diagnose zu stellen“. Früher wurde statt einer Diagnostik eine Stillpause eingelegt – erst wenn diese nicht zum Erfolg führte, begann die Ursachensuche.

Die Therapie erfolgt wie beim frühen Ikterus ebenso mit Hilfe der Fototherapie, die bei Bedarf mit entsprechenden Hilfsmitteln auch Zuhause fortgesetzt werden kann. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass diese Art von Ikterus, unter Einhaltung der Therapiegrenzen, für das Kind negative Auswirkungen hat.

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Deutlich ikterisches Hautkolorit – Fototherapie in direktem Kontakt mit der Mutter
© D. + S. Johnson

Leitlinien

• Die AWMF-Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin → AWMF-Leitlinien-Register Nr. 024/007 gibt einen guten Überblick, ist allerdings zuletzt 2015 überarbeitet worden. Eine Aktualisierung ist in Arbeit.

• Das → ABM-Protokoll # 22: Guidelines for Management of Jaundice in Breastfeeding Infant 35 Weeks or More of Gestation (englisch) wurde zuletzt 2017 überarbeitet und ist sehr empfehlenswert als Vorlage für die Etablierung klinikinterner Standarts zur Prävention und Behandlung der neonatalen Hyperbilirubinämie

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